Dietmar Zöller

Weltautismustag 2012


Weltautismustag am 02. 04. 2012
Menschen mit Autismus werden oft Opfer von Mobbing und Ausgrenzung.
Kann Inklusion das Problem lösen? Zweifel sind angebracht.
Von Dietmar Zöller
Das Wort Inklusion spielt in der sonderpädagogischen und sozialpolitischen Diskussion eine hervorragende Rolle, seit die UN-Behindertenkonvention auch von Deutschland unterzeichnet wurde. Inklusion ist ein Modewort geworden. Am besten übersetzt man das lateinische Wort inclusio mit „Eingeschlossensein“.oder – frei übersetzt – mit „Dazugehörigkeit“. Behinderte Menschen sollen nach der UN-Konvention keine Außenseiterposition einnehmen, sondern selbstverständlich in Regelschulen und am Arbeitsplatz einbezogen sein. Sie sollen an dem Ort, an dem sie leben, lernen oder arbeiten, die Hilfen bekommen, die sie brauchen, um Inklusion erleben zu können. Fernziel: keine langwierige Suche nach der passenden Schule oder dem passenden Arbeitsplatz mehr. Der Mensch mit Hilfebedarf bekommt die notwendigen Hilfen vor Ort. Das gilt auch für den Freizeitbereich. Inklusion. Eine bestrickende Überlegung, aber ein Ziel, das Utopie bleiben wird. Einem solchen Ziel kann man sich annähern, erreichen wird man die Inklusion eines autistischen Menschen eher selten.
Warum meine Zweifel und Vorbehalte? Ich erlebe mich selbst und andere Autisten so, als wollten wir lieber das Leben aus dem Abseits beobachten als mitten zwischen den Menschen zu agieren, die gar nicht verstehen können, warum sie uns stören, wenn sie uns zu nahe kommen. Menschengruppen mit viel Bewegung und Durcheinanderreden überfordern die meisten von uns. Uns fehlt im Gehirn ein Filter, der das Wichtige vom Unwichtigen trennt. Wir erleben viele Eindrücke als chaotisch. Man kann auch sagen, dass wir Probleme haben, die unterschiedlichen Reize, die auf uns einströmen, zu ordnen und zu verarbeiten.
 Vor einiger Zeit bekam ich mit, dass die Mutter eines 11-jährigen Autisten vom Typ Asperger anrief. Die Frau war verzweifelt. Der Sohn war nach drei gescheiterten Schulversuchen in ein Heim mit angegliederter Schule gekommen. Nun wurde den Eltern offenbart, dass ihr Kind dort nicht bleiben könne. Alle Versuche, eine passende Schule in Wohnortnähe zu finden, schlugen bis jetzt fehl. Nun hat das Jugendamt einen Aufenthalt in einer Tagesklinik vorgeschlagen. Damit ist Zeit gewonnen, aber das Schulproblem noch lange nicht gelöst.
Was soll die ganze Diskussion um Inklusion, wenn dabei Menschen auf der Strecke bleiben? Ich weiß, dass es sich bei dem beschriebenen Fall keineswegs um einen Einzelfall handelt. Schüler mit Asperger-Syndrom scheinen geradezu prädestiniert zu sein, hin- und hergeschoben zu werden. Die Ämter halten den Besuch der Schule für Erziehungshilfe oft für die Lösung des Problems. Aber wer sich in der Szene auskennt, weiß, dass sich autistische Schüler in diesem Schultyp schwer behaupten können. Sie sind in ihrem Verständnis sozialer Zusammenhänge beeinträchtigt. Sie werden Opfer von Mobbing und Ausgrenzung.
 Ich kenne einen 16jährigen Schüler, der es nicht schaffte, sich in einer Schulklasse anzupassen. Immer wieder wurde der Mutter mitgeteilt, der Sohn sei in der Schule nicht tragbar. Es wurden Versuche in unterschiedlichen Schultypen unternommen: In drei verschiedenen Grundschulen scheiterte der Schüler im ersten Schuljahr. Er kam in eine Schule für Erziehungshilfe, wo er ein Jahr bleiben durfte. Dann konnte man ihm auch dort nicht mehr helfen. Ein halbes Jahr blieb er bei seiner Mutter zu Hause. Dann fand sich eine spezielle Sonderschule, die ihn aufnahm. Aber auch dort klappte es nicht. Ein längerer Aufenthalt in der Psychiatrie wurde angeordnet. Danach besuchte er eine Schule für Erziehungshilfe. Wieder gab es Schwierigkeiten. Ich weiß nicht genau, wie es weiter ging. Auf jeden Fall spielte auch noch eine Schule für Kranke eine Rolle. Als ich den Jungen kennenlernte, hatte er seit über einem Jahre keine Schule besucht. Ich hatte das Gefühl, dass man hier einem Menschen das Recht auf Bildung vorenthält.
Die Probleme hören im Erwachsenenalter keineswegs auf. Wo eine passende Werkstatt oder einen passenden Arbeitsplatz finden? Auch die besten Werkstätten sind für Menschen mit autistischen Störungen manchmal Orte des Grauens. Die Einrichtungen sind groß und unübersichtlich, Der Lärmpegel lässt sich kaum reduzieren. Das Personal in den Werkstätten ist wenig vorbereitet auf die besondere Problematik der Autisten. Es kommt zu vielen Missverständnissen. Die autistischen Personen, die nicht sprechen können (ca. 40 %) haben keine Möglichkeit sich zu erklären. Einige benutzen die Gestützte Kommunikation (FC), wobei sie aber eine(n) Helfer/in brauchen, der/die sie beim Schreiben stützt. Diese Art der Kommunikationshilfe wird von den Sozialbehörden abgelehnt. Was soll das Gerede von Inklusion, wenn verhindert wird, dass Menschen zu kommunizieren lernen? Es ist ein Vorwand, wenn man die Gestützte Kommunikation als nicht evaluiert und als unwirksam erklärt. So geschehen in einem Brief des Sozialministeriums an den Stuttgarter Regionalverband zur Förderung von autistischen Menschen.
Ich wünsche mir für uns, die wir eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum bekommen haben, dass unsere Mitmenschen verstehen lernen, dass wir nicht so funktionieren können, wie es von uns erwartet wird. Ich selbst brauche für mich keine Inklusion, aber die Möglichkeit, dass ich das Leben beobachten und genießen kann, ohne mich aktiv beteiligen zu müssen. Es hat Gründe, warum Autisten in keine Gemeinschaft wirklich passen. Lasst uns unsere Sonderstellung unter den Behinderten, aber helft uns unser geistiges Potential zu entwickeln.

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