Dietmar Zöller

Weihnachtsbrief 2015



Weihnachtsbrief 2015 (gekürzt)
 
Für alle, die in der
Weihnachtszeit in meiner Homepage stöbern.
 
20. 11
Weihnachten kommt wieder zu früh, so dass ich nicht darauf vorbereitet bin. Schon wieder bin ich ein Jahr älter geworden und schon wieder dem Ende des Lebens näher gekommen. Das meine ich weniger traurig, als es klingt. Jedes Leben findet seine Erfüllung mit dem Tode. Ich ahne bereits, dass mein Leben ein erfülltes geworden ist, auch wenn es zeitweise anders aussah. Ich bin produktiv gewesen,
obwohl es Leute gab, die meine Produktivität nicht schätzen konnten. Stolz bin ich auf das, was ich veröffentlicht habe. Stolz bin ich, weil ich mich nicht habe klein machen lassen. Wenn ich zuweilen Menschen getröstet habe oder ihnen Mut machen konnte, waren das Highlights. Es war wie Weihnachten. Lichter wurden angezündet. Es gab Hoffnung in einem dunklen Loch, das den Autismus ausmacht.
Ich zünde Kerzen an für Menschen, die im dunklen Loch stecken und niemanden finden, der sie herausholt.

Weihnachten ist ein Fest für Nachdenkliche. Ich habe jedes Jahr neu die Familie vor Augen: Maria, Josef und das Kind. Ob sie je darüber nachgedacht haben, dass ihr Kind hätte behindert sein können? Aber für sie kam es ja noch schlimmer. Ihr Kind war etwas Besonderes und gehörte der
Menschheit.


Warum die Fragen,
die alles in Frage stellen,
was Menschen seit Jahrhunderten
heilig war?

Warum die Fragen
 nach Gewinn und Konsum?
Liebe und Friede sind Geschenke
ohne Berechnung.

Die Sehnsucht fragt nicht
nach Gewinn und Konsum.
Die Sehnsucht schaut das Licht an
und entzündet die Liebe.
 
22.11

Heute ist Totensonntag. Ich denke an Rolf Mayer, der im September gestorben ist. Wer
von Euch/ Ihnen nicht weiß, wer Rolf Mayer war, sollte in meinem Buch „Wenn ich
mit Euch reden könnte“ (1989)
nachschauen. Er war mein Lehrer und bekam die meisten Briefe von mir. Wir hatten bis zuletzt einen freundschaftlichen Kontakt. Ich bin traurig, dass es Rolf nicht mehr gibt. Ich bin aber froh, dass seine Tochter ihm einen Brief von mir vorgelesen hat an dem Abend, als er wenige Stunden später friedlich eingeschlafen ist. Ein Mensch, der mich in schwieriger Zeit nicht fallen ließ, von dem ich zu jedem Fest einen Gruß bekam.
23.11.
Eigentlich war das Jahr 2015 ein erfolgreiches Jahr. Herr Michael Schmitz vom Verlag Rad und Soziales hat dafür gesorgt, dass das Reisebuch, das schon lange fertig war, veröffentlicht werden konnte. Außerdem hat er meine beiden ersten Bücher und das Buch „Kathrin ist autistisch“ als E Books herausgebracht. 
Mein Reisebuch ist mein Schatz, ein Schatz an Erinnerungen, die unvergesslich bleiben. Ich habe viel gesehen und viel erlebt. Das kann mir niemand nehmen. Das Buch ist mir von allen meinen Büchern das Wertvollste.


24.11.
Heute denke ich an meine Geburt in Indonesien. Es war kurz vor Weihnachten und ich kam früher, als erwartet. Ich hätte auch Weihnachten das Licht der Welt erblicken können – so wie mein Bruder. Als mich meine Eltern vom Krankenhaus im Hochland nach Medan, wo wir wohnten, brachten, muss es unerträglich heiß gewesen sein. Trotzdem gab es einen Weihnachtsbaum mit Strohsternen. Ein Foto zeigt meine Mutter am Weihnachtsbaum. Das ist lange, lange her. Wie viel Zeit ist vergangen, seit unsere Familie in Medan (Sumatra)
lebte.

Wenn ich in die Runde schaue an Tagen wie Weihnachten, staune ich und bin dankbar, was aus unserer Familie geworden ist. Die jüngste Nichte wird im Frühjahr 15 Jahre alt. Der erste Neffe, mein Patenkind, ist 24 Jahre alt. Wo ist die Zeit geblieben?
Ich erlebe Zeit als etwas Flüchtiges, das man festhalten möchte. Alles vorbei, was mir mal viel
bedeutet hat. Die Großeltern sind lange tot. Rolf ist nicht mehr da. Auch andere Menschen, denen ich mich verbunden fühlte, fehlen und bekommen keinen Weihnachtsbrief mehr.
Das ist Weihnachten, eine Erinnerung an Menschen, die mir Liebe schenkten, als nur Liebe mich retten konnte. Darum bleibe ich dabei, Weihnachten als Fest der Liebe zu feiern.

Weihnachten ist abgenutzt,
sagen die einen
und entziehen sich der
festlichen Tafel.

Weihnachten ist das Fest der
Feste,
sagen die anderen
und schlemmen in trauter
Runde.

Weihnachten ist anders
in jedem Jahr,
wenn ich an andere denke.

Eine besinnliche Weihnachtszeit
wünscht

Dietmar Zöller
 

 


 


 


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