Dietmar Zöller

Warum ich mich für das "gestützte Schreiben" einsetze



Warum ich mich für das „gestützte
Schreiben“ einsetze
Von Dietmar Zöller
Warum wähle ich den Ausdruck „gestütztes Schreiben“ und vermeide immer häufiger den Ausdruck „Gestützte Kommunikation“ (FC)?  „Gestützte Kom-munikation“ wurde geradezu zu einem Schimpfwort, und die, die nicht gegen FC sind, werden lächerlich gemacht. (s. Heilpädagogische Forschung, Heft 3, 2012)  Auch Anwender/ innen des gestützten Schreibens, und dabei ist es egal, ob eine Tastatur oder Buchstabentafel favourisiert wird, oder ob mit der Hand
geschrieben wird, lesen kritische Literatur. Es sind nicht alle Dummköpfe, die
jemanden beim Schreiben unterstützen, oder die sich, wenn notwendig, „stützen“ lassen.
Es kann gravierende Probleme beim Handgebrauch geben. In jedem Fall hilft es manchen Autisten, wenn eine assistierende Person die Hand, den Arm oder die Schulter berührt. Heute nennt man das „stützen“.
Ich bin 43 Jahre alt. Von gestützter Kommunikation wusste niemand etwas, als meine Mutter intuitiv erspürte, dass sie ihr stark entwicklungsverzögertes Kind berühren musste, wenn das Zeigen auf Bilder oder Buchstaben gelingen sollte. Das klappte am Anfang gar nicht gut. Meine Mutter fand heraus, dass ich eindeutiger reagierte, wenn sie mich aufforderte: „Gib mir…“ (die Puppe, das Bild mit dem Ball usw.) So lernte ich auch, Buchstaben gezielt auszuwählen und Mutter zu geben. Das alles musste ich glücklicherweise im Vorschulalter lernen. Ich lernte noch mehr. Mit etwas Hilfestellung lernte ich, eine Kreide in der Hand zu halten. Ich machte die Erfahrung etwas zu schaffen, was ich anschauen konnte. Meine Bewegungen mit der Kreide bewirkten, dass etwas entstand, was nicht sofort wieder verschwand.
Was bei mir im Vorschulalter angebahnt wurde, führte im Schulalter, obgleich ich keine Schule besuchte bis zu meinem 11. Lebensjahr, zum „gestützten Schreiben“ mit der Hand. Ich schrieb, während meine Mutter meine Hand berührte, erste kleine Texte. In meinem Buch „Wenn ich mit euch reden könnte“ (1989) sind einige frühe Texte abgedruckt. Ich bekam auf mein erstes Buch außerordentlich viele positive Rückmeldungen. Mir wurde zum Beispiel mitgeteilt, dass autistische Kinder ruhig wurden, sogar lächelten, wenn ihnen aus meinem Buch vorgelesen wurde. Damals fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben gut, weil ich offensichtlich Menschen geholfen hatte, behinderte Kinder besser zu verstehen und mich, wie es schien, auch autistische Kinder verstanden. Das ist lange her.
Niemals hätte ich erwartet, dass eines Tages Fachleute sich erheben und meinen dagegen kämpfen zu müssen, dass man autistischen Kindern das Schreiben beibringt. Ich könnte schreien, wenn ich lese, wie die Zeitschrift Heilpädagogische Forschung mit dem Thema Gestützte Kommunikation umgeht. Die wissenschaftliche Rechthaberei verstört mich. Wir, die wir diese schreckliche Behinderung aushalten müssen, sind Menschen mit Gefühlen, auch wenn wir uns oft wie „Verrückte“ verhalten.
Ich möchte bis zu meinem letzten Atemzug dafür kämpfen, dass autistische Menschen schreiben lernen, unabhängig davon, ob man sie dabei an der Hand, am Arm oder an einem anderen Körperteil berühren muss und unabhängig davon, ob man experimentell nachweisen kann, dass sie sich nicht beeinflussen lassen. Man darf doch nicht Kinder von Bildungsangeboten ausschließen, die in ihren Ausdrucksmöglichkeiten (Mimik, Gestik, Sprache) so eingeschränkt sind, dass sie nicht in der Lage sind, wie gesunde Kinder ihr geistiges Potential zu zeigen.

 
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